Pressemitteilungen Nord-Süd Stadtbahn Köln
24.02.2014 Fünf Jahre nach dem Archiveinsturz – Arbeiten und Beweissicherung an der Unfallstelle
Auf Empfehlung und Beschluss des Landgerichts Köln wird im Rahmen des durch die Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) und die Stadt Köln beantragten Beweissicherungsverfahrens ein sogenanntes Besichtigungsbauwerk an der Ostseite des Gleiswechsels Waidmarkt errichtet. Das Bauwerk dient der Ermittlung der Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs und zweier angrenzender Wohnhäuser, bei dem zwei junge Männer am 3. März 2009 ihr Leben verloren.
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und Beweissicherungsverfahren durch das Landgericht
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt in einem strafrechtlichen Verfahren mit eigenen Gutachtern gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Baugefährdung. Um die Unglücksursache und die hierfür Verantwortlichen zu ermitteln, haben die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) am 9. März 2009 zusätzlich ein selbständiges Beweissicherungsverfahren gegen die Arbeitsgemeinschaft Nord-Süd Stadtbahn Köln, Los Süd (kurz: Arge Los Süd) beim Landgericht Köln beantragt.
Durchgeführt wird das Verfahren von dem Sachverständigen Dr.-Ing. Hans-Georg Kempfert, Prof. em. für Geotechnik. Er arbeitet unabhängig von den Antragstellern, wurde vom Gericht bestellt und berichtet auch direkt an dieses.
Das geplante Besichtigungsbauwerk wird von Gutachtern der Staatsanwaltschaft sowie dem Sachverständigen des Gerichts gleichermaßen genutzt werden, um die Schadensursache zweifelsfrei aufklären zu können.
Bau der Besichtigungsbaugrube
Nachdem die Stadt Köln die Archivalienbergung am Waidmarkt abgeschlossen hatte und die hierfür hergestellte Bergebaugrube - soweit erforderlich - zurückgebaut und verfüllt worden war, begannen im Oktober 2012 unverzüglich die Arbeiten zur Herstellung der Besichtigungsbaugrube. Diese wird von der KVB als Bauherrin in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Köln gebaut.
Die Besichtigungsbaugrube wird vor der Schlitzwandlamelle 11 an der Ostseite des Gleiswechselbauwerks errichtet und schließt direkt an die Schlitzwand des Gleiswechsels Waidmarkt an. In einer Tiefe von ca. 20 bis 26 Metern unterhalb der Oberkante des Gleiswechselbauwerks und bis etwa 6 Meter tief unter der Baugrubensohle des Gleiswechselbauwerks wird hier ein Defekt in der Schlitzwand vermutet. Hinweise darauf ergaben sich u.a. durch thermische und seismische Untersuchungen, die der Sachverständige des Landgerichts, Prof. Kempfert, bereits kurz nach dem Einsturz durchgeführt hatte.
Der Schacht weist Innenmaße von 5,10 mal 12,30 Meter auf und besteht aus 19 überschnittenen Bohrpfählen mit einem Durchmesser von jeweils 1,50 Metern, die 38,70 Meter tief in die Erde reichen. Mithilfe eines Düsenstrahlverfahrens bei dem Zementsuspension in die Fugen zwischen der Wand des Gleiswechselbauwerks und der Bohrpfahlwand eingepresst wird, wurde das Besichtigungsbauwerk an die Schlitzwand angedichtet.
Im Bereich der Fugen der Schlitzwandlamellen 10/11 und 11/12 wurde außerdem eine Bodenvereisung mittels Sole durchgeführt, um die Sicherheit der Andichtung zu erhöhen. Zusätzlich wird vor der Fuge 10/11 eine Stickstofflanze eingebracht, um dort besonders viel Kälte eintragen und so den Bereich, in dem die Fehlstelle vermutet wird, sicher untersuchen zu können.
Beginn des Erdaushubs und Beweissicherung unter Wasser
Der Grundwasserspiegel am Waidmarkt liegt - je nach Rheinpegel - ca. 9 Meter unter der Geländeoberkante bzw. 3 Meter unterhalb der Oberkante des Gleiswechselbauwerks. Ab dieser Marke steht Wasser in dem Besichtigungsschacht, das aus Gründen der Statik nicht abgepumpt werden kann. Die Untersuchungen zur Beweissicherung können daher nur von Tauchern ausgeführt werden, die nach Vorgabe und im Ermessen des vom Gericht bestellten Gutachters Prof. Kempfert arbeiten werden.
Nachdem die Baugrubenumschließung der Besichtigungsbaugrube am Waidmarkt fertig gebaut und an die Schlitzwand des Gleiswechsels angeschlossen wurde, wird nun mit dem Aushub des Erdreichs begonnen.
Zunächst wurden mit einem Bagger rund 6,50 Meter Erde aus dem Schacht entfernt, um insgesamt acht Stahlrahmen einbauen zu können, die die Statik des Besichtigungsbauwerks sichern werden. Je nach Aushubtiefe werden die Stahlrahmen nach und nach in den Schacht abgesenkt und an den dafür vorgesehenen Stellen fest installiert.
Nachdem die Stahlrahmen zunächst im oberen Aushubbereich der Besichtigungsbaugrube positioniert wurden, übernimmt der Gutachter des von den Kölner Verkehrs-Betrieben und der Stadt Köln beantragten selbstständigen Beweissicherungsverfahrens, Prof. Hans-Georg Kempfert, die Baugrube. Unter seiner Regie werden die Taucher ihre Arbeit aufnehmen.
Mithilfe einer Saugpumpe und unter Aufsicht des Gutachters werden die Taucher zunächst weitere 6,50 Meter Erdreich aus dem Besichtigungsschacht entfernen. Im Anschluss erfolgt der weitere Aushub in 50 Zentimeter-Schritten. Nach dem Abpumpen der Erde wird die Schlitzwand abschnittsweise untersucht. Die Befunde werden mittels Videoaufnahmen dokumentiert und anschließend ausgewertet.
Der Schaden an der Schlitzwand wird in einer Tiefe von rund 26 bis 28 Metern unter dem Straßenniveau vermutet. Die fragliche Stelle könnte gegebenenfalls im Sommer 2014 erreicht werden.
Maßgeblich für die Dauer der Untersuchungen sind die Anforderungen des Gutachters und der Staatsanwaltschaft, die den Ablauf des Beweissicherungsverfahrens den jeweiligen Erfordernissen anpassen werden. Sämtliche Bauabläufe werden sich an den Arbeiten des Gutachters orientieren. Insgesamt werden mithilfe einer Saugpumpe rund 820 Kubikmeter Boden abgetragen. Auch diese Arbeit wird von den Tauchern des Gutachters ausgeführt.
Bisheriger Bauverlauf
Die Übergabe des Baufeldes an die KVB erfolgte im Oktober 2012. Nach Einrichtung der Baustelle wurden die Arbeiten zur Herstellung der Besichtigungsbaugrube, die von der Firma Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co. KG aus Sengenthal (bei Neumarkt in der Oberpfalz zwischen Nürnberg und Regensburg) durchgeführt werden, Anfang November 2012 begonnen. Im Juli 2013 konnten die Bohrpfahlarbeiten abgeschlossen werden.
Hieran anschließend wurden von August 2013 bis Dezember 2013 Arbeiten zum Anschluss der Besichtigungsbaugrube an die Schlitzwand des Gleiswechsels durchgeführt. Hierzu wurde an den Stellen, an denen sich eine Lücke zwischen den beiden Wänden befand, mithilfe eines Düsenstrahlverfahrens Zementsuspension in das Erdreich injiziert und jeweils eine Betonsäule hergestellt. Bevor dieses Vorhaben umgesetzt werden konnte, musste jedoch sichergestellt werden, dass die Zementsuspension nicht in Bereiche fließt, in denen sie die Beweislage im Boden hätte verändern können. Aus diesem Grund wurde vor der Herstellung der Betonsäulen das Erdreich an den entsprechenden Stellen im Inneren des Besichtigungsschachtes vereist. Der Eisblock verhinderte, dass die Suspension sich unerwünschte Wege sucht. Nachdem die Anschlüsse hergestellt waren, wurde die Vereisung wieder aufgehoben.
Um zeitgleich sicherzustellen, dass beim Ausschachten der Besichtigungsbaugrube kein Wasser von außen mehr in den Besichtigungsschacht eindringen kann, wird außerdem eine doppelte Sicherung vorgenommen und eine äußere Vereisung im Bereich des Anschlusses zwischen Schlitzwand und Besichtigungsschacht hergestellt. Die hierzu notwendigen Maßnahmen laufen seit Dezember 2013.
Zeitrahmen
Bei der Herstellung des Besichtigungsbauwerks und den baulichen Vorbereitung für die Untersuchungen der Einsturzursache handelt es sich um ein äußerst schwieriges Unterfangen, das die Beteiligten vor vielfältige Probleme stellt.
Wichtigste Vorgabe für den Bau des Besichtigungsbauwerks ist, dass die Beweislage im Erdreich durch die durchgeführten Arbeiten in keiner Weise verändert werden darf. Aus diesem Grund kann an dieser sensiblen Stelle nicht jedes beliebige Bauverfahren zur Anwendung kommen. Die beteiligten Fachleute müssen so umsichtig wie möglich zu Werke gehen. Jede Modifikation des Verfahrens ist zwischen allen Beteiligten und vor allem mit der Staatsanwaltschaft abzustimmen. Ein gesichertes Vorgehen steht im Vordergrund – auch dann, wenn dies Auswirkungen auf den angestrebten Terminplan hat.
Derzeit gibt es gegenüber der Ursprungsplanung eine Zeitverzögerung von mehreren Monaten. Es wird damit gerechnet, dass die Arbeiten in der Besichtigungsbaugrube ggf. Ende 2014 abgeschlossen werden können. Maßgeblich für die Dauer der Untersuchungen sind jedoch die Anforderungen des Gutachters und der Staatsanwaltschaft, die den Ablauf des Beweissicherungsverfahrens den jeweiligen Erfordernissen anpassen werden.
Nach Abschluss der Beweissicherung wird das Besichtigungsbauwerk wieder verfüllt. Sind die erzielten Ergebnisse bezüglich der Schadensursache nicht eindeutig, ist es ggf. auf Verlangen des Gutachters notwendig, weitere Untersuchungsschritte zu ermöglichen.
Kosten
Für die Errichtung des Besichtigungsbauwerks wurden vom Rat der Stadt Köln insgesamt rund 17,5 Millionen Euro genehmigt. Inzwischen ist absehbar, dass die Kosten für das Bauvorhaben sich unter anderem durch notwendige Modifizierungen des Bauvorhabens, damit einhergehende Bauzeitverzögerungen, Probleme bei der Herstellung der Eiskörper etc. erhöhen werden. Eine konkrete Angabe zu den Kostenerhöhungen kann derzeit noch nicht gemacht werden, da die Bewertung der hierzu vorliegenden Nachträge noch in der Bearbeitung ist.
Beweissicherungverfahren/ Verjährung
Wie bereits beschrieben, hat die KVB als Bauherrin der Nord-Süd Stadtbahn am 9.3.2009 gemeinsam mit der Stadt Köln beim Landgericht Köln ein selbständiges Beweissicherungsverfahren gegen die Arge Nord-Süd Stadtbahn Köln, Los Süd (Arge Süd) beantragt. Die Arge Los Süd ist ein Zusammenschluss aus den Firmen Bilfinger, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG und Ed. Züblin AG. Das Konsortium ist Auftragnehmer der KVB und führt in deren Auftrag u.a. den Bau des Gleiswechselbauwerks Waidmarkt aus.
Das Beweisverfahren kann ohne einen anhängigen Rechtsstreit durchgeführt werden. Zuständig ist jeweils das Gericht, an dem der Rechtsstreit, der dadurch erst einmal vermieden wird, geführt werden müsste. Das Gericht bestimmt einen Gutachter, der Mängel, Ursachen und Verantwortlichkeiten aufdecken soll. Die Ergebnisse des Sachverständigen-Gutachtens werden später in einem möglichen Rechtsstreit verwertet. Die Verjährung von Ansprüchen wird durch ein selbstständiges Beweisverfahren unterbrochen.
Entschädigungen
Bis heute wurden an Entschädigung rund 7,1 Mio. Euro ausgezahlt. Darin enthalten sind Haftpflichtleistungen in Höhe von rund 3,0 Mio. Euro und Kulanzleistungen der KVB in Höhe von ca. 4,1 Mio. Euro.
Insgesamt haben bisher 247 Anspruchsteller (ohne Leihgeber Archiv und am Bau beteiligter Unternehmen) Schäden aufgrund des Unglücks Waidmarkt bei der KVB, der Stadt Köln oder dem Schadensregulierer Cunningham Lindsey ZORN GmbH gemeldet. Hiervon sind 221 Anspruchsteller (ca. 89 Prozent aller Fälle) bereits abschließend entschädigt worden.
Von den 102 betroffenen Mietern der eingestürzten und umliegenden Häuser sind bereits 96 entschädigt worden (94 Prozent). Noch nicht abgeschlossen ist die Restentschädigung für zwei klagende Parteien (4 Mieter).
Von den 145 restlichen Anspruchstellern (Gewerbetreibende, Gebäudeeigentümer, sonstige Personen) sind bereits 125 entschädigt, 20 Vorgänge befinden sich noch in Bearbeitung, v.a. aufgrund der Komplexität der Fälle oder weil von der KVB gegebene Darlehen noch laufen. Von den drei Eigentümern der eingestürzten Häuser ist ein Eigentümer komplett entschädigt worden, die beiden anderen verlangen einen Wiederaufbau ihrer eingestürzten Häuser.
Bei den abgeschlossenen Vorgängen hat sich die KVB auch aufgrund der großzügigen Kulanzregelungen mit den Anspruchstellern gütlich geeinigt, mehrere davon waren anwaltlich vertreten.
Stand der Bauarbeiten Nord-Süd Stadtbahn gesamt
Die Haltestelle Breslauer Platz wurde am 15. Dezember 2011 in Betrieb genommen, die Haltestelle Rathaus am 10. Dezember 2012 und die Haltestelle Heumarkt am 15. Dezember 2013. Die Teilinbetriebnahme des nördlichen Streckenabschnitts der Nord-Süd Stadtbahn Köln ist damit abgeschlossen.
Am 30. April 2013 beschloss der Rat der Stadt Köln auch die Teilinbetriebnahme des südlichen Bereichs. Spätestens ab Sommer 2016 sollen die Bahnen zwischen den Haltestellen Severinstraße und Rodenkirchen (teils auch Sürth) in beiden Tunnelröhren verkehren. Um das Vorhaben zu realisieren, ist eine Reihe von Vorleistungen zu erbringen. Unter anderem ist eine Weichenanlage hinter der Haltestelle Bonner Wall einzubauen sowie eine Wendeanlage in Rodenkirchen. Zudem muss ein Unterwerk für die Stromversorgung errichtet werden.
Eine Gesamtinbetriebnahme der Nord-Süd Stadtbahn ist erst nach Abschluss der Ursachenforschung am Waidmarkt und einer anschließenden Sanierung des Gleiswechsels möglich - nach heutigem Stand ggf. 2019.
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