Pressemitteilungen Nord-Süd Stadtbahn Köln

Pressemitteilung teilen
13.02.2007 "Carmen" hat ihre Arbeit beendet

Nach gut zweieinhalbjährigen Vorarbeiten, in denen unter anderem die Startschächte Ost und West für die Anfahrt der im Nordlos eingesetzten Tunnelbohrmaschine "Carmen" gebaut wurden, fand am 22. Juni 2006 die Taufe der künftigen Tunnel durch die beiden Patinnen Ursula Schramma und Alexandra Kassen statt.

Wenige Wochen später, am 8. Juli 2006, begann "Carmen", die Oströhre vom Breslauer Platz bis zum Kurt-Hackenberg-Platz aufzufahren. Und dabei war sie die erste Tunnelbohrmaschine, die eine so genannte "Fliegende Schildanfahrt" (siehe beigefügtem Text und Animation) hinlegte. Das weltweit neuartige Prinzip, das von dem Leiter Schildvortrieb der Arge Nord-Süd Stadtbahn Köln Los Nord, Dipl.-Ing. Stephan Assenmacher, erdacht und von seinem Auftraggeber, der Hochtief Construction AG, patentiert wurde, funktionierte reibungslos.

Nach gelungenem Start fuhr Carmen zielstrebig Richtung Philharmonie. Sie unterquerte die Tiefgarage des Kommerzhotels mit nur einem Meter Abstand und den Busbahnhof, anschließend durchfuhr sie das Pfahljoch der S-Bahn-Erweiterung, grub sich unter den Gleisen der Deutschen Bahn AG sowie unter der Trankgasse durch. Dabei startete sie mit einer Überdeckung zwischen dem Tunnelfirst der Schildmaschine und der Geländeoberkante von rund sechs Metern und ging bis zu ihrem Zielpunkt unter dem Bahndammstuhl bis auf 21 Meter herunter.


Damit bei der Herstellung des rund 260 Meter (exakt 259 Meter/ 172 Ringe ? 1,50 Meter Breite) langen Ursula-Tunnels keine Schäden verursacht wurden, musste zuvor eine Vielzahl an Sicherungsmaßnahmen vorgenommen werden:
Sowohl die Tiefgarage des Kommerzhotels als auch das Bahndammwiderlager an der Trankgasse musste durch so genannte Düsenstrahlkörper gesichert werden. Diese werden durch das Einpressen von Zementsuspension in den Boden hergestellt und bilden nach dem Aushärten feste Körper, die die darüber liegenden Bauten stützen.
Am 9. September 2006 hatte "Carmen", die zuvor bereits in Wien eingesetzt und von der Herstellerfirma Herrenknecht in Schwanau für Köln neu aufgearbeitet worden war, die erste Tunnelröhre fertig gestellt. Die Maschine wurde auseinandergebaut, durch den Tunnel zurücktransportiert und im Startschacht West wieder zusammengesetzt. Lediglich der Schildmantel und das Schneidrad verblieben im Boden und wurden durch neue Teile ersetzt.
Zeitgleich mit der Bergung und erneuten Montage der Maschine erfolgten weitere bauliche Maßnahmen, die vor der Herstellung des westlichen Tunnels abgeschlossen werden mussten. Dazu gehört u.a. die Sicherung des Stadtbahntunnels, der im Verlauf der Schildfahrt West mit einer extrem geringen Überdeckung von nur rund 80 Zentimetern unterquert wurde.
Um zu verhindern, dass es während der Unterfahrung zu Setzungen kommt, die Auswirkungen auf den Stadtbahnbetrieb haben könnten - z.B. durch entstehende Unebenheiten an den Gleisanlagen - wurde der Tunnel innen im Vorlauf mit Stahlträgern ausgesteift. Der Boden im Bereich des Stadtbahntunnels und des Bahndammgewölbes wurde mit einem kombinierten Verfahren aus Hochdruckinjektionen (HDI) und Feststoff-Einpressungen (FEP) ebenfalls verdichtet.
Bevor "Carmen" am 5. Dezember 2006 - einen Tag nach dem Barbaratag, dem Gedenktag an die Schutzpatronin des Berg- und Tunnelbaus - ein zweites Mal startete, wurde am 30. November 2006 noch eine feierliche Segnung am Tunnelmund vorgenommen und die Statue der Heiligenfigur aufgestellt. Auch über dieses Vorhaben hielt die Schutzheilige ihre Hand. So konnte am Freitag, dem 9. Februar 2007, um 14.00 Uhr, der Tunnelvortrieb der Weströhre nach rund 240 Metern (exakt 241,5 Meter bestehend aus 161 Ringen) erfolgreich abgeschlossen werden.
Auf dieser zweiten Strecke unterquerte Carmen das Vordach der A-Passage des Hauptbahnhofs, den Stadtbahntunnel, die Radstation im Bahndammgewölbe, die S-Bahngleise und die Trankgasse, ohne dass es dabei zu nennenswerten Zwischenfällen kam. Das einzige Problem, das während dieser zweiten Schildfahrt auftauchte, war ein zuvor nicht bekannter Stahlträger, der plötzlich etwa 3,50 Meter in den Ausbruchsdurchschnitt hineinragte. Er beschädigte die Abbauwerkzeuge am Schneidrad und war dafür verantwortlich, dass die Maschine außerplanmäßig für elf Tage zum Stehen kam, da ein Werkzeugwechsel vorgenommen werden musste.
Abgesehen von diesem Ereignis und dem 16-tägigen Stillstand, der zum Jahreswechsel eingelegt wurde, war "Carmen" sieben Tage die Woche rund um die Uhr im Einsatz - und mit ihr auch die Tunnelarbeiter, die sich in drei Schichten mit je etwa 13 Mann ablösten. Die Oströhre, der Alexandra-Tunnel, wurde in insgesamt 64 Tagen (inklusive Wartungs- und Montagezeiten) fertig gestellt, die Weströhre in 51 Tagen.
Wegen der Vielzahl der Unterfahrungen von teilweise sehr störfallempfindlichen Bauwerken und den sich hieraus ergebenden zusätzlichen Vorsorgemaßnahmen - z.B. dem Zuführen von Frischbentonit mit einer erhöhten Stützfähigkeit zur Verfestigung der Ortsbrust (Boden vor dem Schneidrad) - konnte die angestrebte Durchschnittleistung von sieben bis zehn Metern pro Tag nicht erreicht werden. Sie lag bei beiden Röhren letztlich zwischen 5,60 und 6,50 Metern.
Zu absoluter Höchstform lief die Maschine am 24. August 2006 bei der Unterquerung der Baustelleneinrichtungsfläche auf dem Gelände des ehemaligen Ämtergebäudes auf: An diesem Tag legten "Carmen" und ihre Besatzung eine Spitzengeschwindigkeit hin und fuhren 12,55 Meter am Stück!
Da die Arbeiten am Breslauer Platz eine große Herausforderung darstellten, wurden Tunnelbohrmaschinen-Fahrer mit jahrelanger Erfahrung eingesetzt, die schon an vielen Tunnelbauvorhaben beteiligt waren. Sie mussten bei ihrer Arbeit in Köln oft sehr viel Fingerspitzengefühl an den Tag legen und außerordentlich vorsichtig und wachsam bei der Ringspaltverpressung (Spalt zwischen Maschine und Erdreich, der während des Tunnelbaus mit Mörtel verfüllt wird) vorgehen.
In einigen Bereichen lag die kritische Schwelle bei maximalen Toleranzwerten von drei bis zehn Millimetern. Aus diesem Grund wurde während der Schildfahrt zudem ein umfangreiches Monitoring (geotechnisches Messprogramm, Erfassung, Auswertung und Interpretation relevanter Vortriebsdaten) durchgeführt.
Die Arbeiten wurden in dem von der Arge Nord-Süd Stadtbahn Köln Los Nord als ausführendem Baukonsortium und der Kölner Verkehrs-Betriebe AG als Bauherrin und Auftraggeberin in dem angestrebten Zeitraum bewältigt. Während der Vortriebsarbeiten kam es zu keinem schwerwiegenden Unfall. Die KVB bedankt sich bei der die Arge Nord bildenden Firmen Hochtief Construction AG, den Grundbaufirmen Keller und Brückner sowie der Firma Bauer Spezialtiefbau sowie bei jedem einzelnen Mitarbeiter, der auf der Baustelle oder in anderen Zusammenhängen an der erfolgreichen Durchführung dieses sehr anspruchsvollen Baus der Tunnelröhren des Nordloses beteiligt war, für die herausragende und zuverlässige Leistung, die hier erbracht wurde.
Sollten Sie weitere Informationen benötigen, wenden Sie sich an die Unternehmenskommunikation der Kölner Verkehrs-Betriebe AG, Gudrun Meyer, Mediensprecherin, Tel. 0221/ 547-3338 oder 0151-11733916.

 

„Fliegende Schildanfahrt“

Als „Carmen“ nach vorausgegangenen Testläufen am 8. Juli 2006 startete, war das ein großer Moment, denn „Carmen“ startet mit einer weltweit neuen Anfahrkonstruktion. „Fliegende Schildanfahrt“ hat Dipl.-Ing. Stephan Assenmacher von der Firma Hochtief und Leiter des Schildvortriebs bei der Arge Nord, seine Erfindung genannt, auf die bereits ein Patent angemeldet ist. Noch bevor in der Praxis belegt war, dass das von ihm erdachte Verfahren funktioniert, hatten schon etliche Fachfirmen ihr Interesse daran angemeldet und wollen es übernehmen.

Vereinfacht dargestellt, startet eine Tunnelbohrmaschine normalerweise, indem so genannte „Blindringe“ gebaut werden, an denen sich die Schildmaschine mit Hydraulikpressen ab- und nach vorne drückt. Bei „Carmen“ ist alles anders: Der Platz für die Anfahrt der Schildmaschine am Breslauer Platz ist äußerst begrenzt. Hätte man das herkömmliche Verfahren gewählt, hätte man weitere Eingriffe in den Straßenverkehr vornehmen müssen, um den Startschacht in der nötigen Größe herzustellen. Das brachte Stephan Assenmacher auf die Idee, einen so genannten „Druckring“ (eine „Stahlrücksteifkonstruktion“) zu bauen. Diese Konstruktion steht nicht starr auf einem Fleck, sondern wird mit der Maschine zusammen durch zusätzlich an dem Druckring angebrachte Hohlkolbenpressen nach vorn gedrückt. Das Ganze funktioniert wie bei einer großen Schraubzwinge: Der hinter der Schildmaschine installierte Druckring ist über Gewi-Stangen (Gewindestangen) mit zwei links und rechts neben der Tunnelbohrmaschine an der Startwand („Brillenwand“) vertikal fest angebrachten Stahlträgern verbunden. Über diese Gewi-Stangen erfolgt die Weiterleitung der Vortriebskräfte aus dem Druckring. Die Vortriebspressen der TBM haben in dieser Phase nur eine haltende Funktion.

Die Anlage lässt sich sowohl im Automatikbetrieb als auch im Handbetrieb fahren. Die wichtigsten Funktionen der Steuerungsanlage sind so abgesichert, dass auch bei Stromausfall, einer Überschreitung von maximalen Kräften oder einer maximalen Schiefstellung, einer Leckage in der Hydraulik oder ähnlichem nach dem Abschalten der Anlage ein sicherer Zustand erreicht wird.

Der Vorschubzyklus über die Hohlkolbenpressen wird so lange wiederholt, bis der Druckring in der vorausberechneten Position vor der Brillenwand steht. Im Anschluss daran wird der weitere Vortrieb nun in herkömmlicher Bauweise von den Vortriebspressen mit anschließendem Ringbau übernommen.

Der Vorteil der „Fliegenden Schildanfahrt“ gegenüber einer konventionellen Anfahrt mit starrer Rücksteifkonstruktion und Blindringen besteht nicht nur in einer Platzersparnis, die sich zudem auch noch kostenmindernd auswirkt, sondern auch durch einen schnelleren Ablauf der Anfahrphase durch einen nahezu ununterbrochenen Vorschub des Systems bis in die Endstellung des Druckrings bzw. der Maschine. Zudem ist eine verbesserte Arbeitssicherheit durch Entfall von aufwändigen Montage- und Demontagearbeiten bei Blindringen und Rücksteifkonstruktion gewährleistet.

 



Grafische Darstellung der Figur CarmenLängsschnitt des Vortriebs Ost

zurück zur Übersicht